Predigt zum Festtag 125 Jahre Markuskirche
Tut mir auf die schöne Pforte
Liebe Festgemeinde,
also ich kann euch sagen, wenn man erst einmal die 100 überschritten hat, dann wird man immer jünger und frischer. Na, ganz so übertreiben will ich nicht, aber ich bin gegenüber früher schon deutlich ruhiger geworden. Mich haut nicht jeder Sturm um. Ihr müsst wissen, ich bekomme hier nicht nur jeden Gottesdienst mit, in meinen Mauern lagern sich nicht nur Gebete ab, sondern auch so manches Gerede. Früher hat mich das ziemlich irritiert, aber ich bin im Laufe der Zeit gelassener geworden. Heute wird mein 125. Geburtstag gefeiert. Da ist es gut innezuhalten und einiges Revue passieren zu lassen. Alles fängt ja mit der Geburt an oder soll ich besser sagen mit der Zeugung?
Das war nämlich so: Die Evangelischen in Herzogenrath gehörten zur Evangelischen Kirchengemeinde Aachen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Gemeindeglieder in Herzogenrath. Einige von ihnen waren recht betucht. Sie gaben den Anstoß zum Bau einer evangelischen Kirche. Doch bis es soweit war, vergingen noch einige Jahre. Ein Bauplatz wurde gesucht. Für den Bau der Kirche in Herzogenrath schenkte der damalige evangelische Bergbaupionier und Bergwerksdirektor der Grube Nordstern in Merkstein, Carl Honigmann, der Aachener Gemeinde das Grundstück in der Geilenkirchener Straße. Ohne das geschenkte Grundstück stünde ich jetzt nicht hier an diesem Ort. Auch das für die Rheinprovinz zuständige königliche Konsistorium in Koblenz – ihr müsst wissen damals gab es für die Evangelischen Kirchen in der Leitung noch keine Trennung von Staat und Kirche – musste dem Kirchenbau zustimmen. Außerdem musste die Finanzierung geklärt werden. Und dann kam endlich das langersehnte Ja. Nach der Planung kam es zur Grundsteinlegung im August, im Jahr des HERRN 1897. Ein Reporter der Neuen Preußischen Zeitung schrieb damals: „Im langen Zuge, voran etwa 10 (evangelische) Pfarrer in Amtstracht, ein für die hiesige Gegend völlig fremder Anblick, zog die feiernde Gemeinde hinaus zum festlich geschmückten Bauplatz.“ (Festschrift S.29)
Wenn ich an meinen Anfang zurückdenke, wird mir bewusst, wie viele Menschen sich beharrlich engagiert haben, damit ich zustande kam. Und letztlich war es ein Geschenk, wie alles Leben ein Geschenk ist. Ich erblickte das Licht der Welt 1898 und wurde mit einem Gottesdienst im Oktober 1898 in den Dienst genommen. Ich war so stolz, und stellt euch vor auf dem Altar lag eine Altarbibel, ein handsigniertes Geschenk der Kaiserin Augusta Viktoria. Diese Geburt war ein großes Ereignis für die Rodastadt an der Wurm, war ich doch das erste evangelische Gotteshaus unter vielen katholischen Gotteshäusern in Herzogenrath. Im Laufe der Jahrzehnte ist die Ökumene mit mir gewachsen.
Alles in allem, ein guter Anfang. Dafür bin ich dankbar.
Und dann kam die Zeit, in der ich gefüllt wurde mit vielen Menschen, die in mir ihre Gottesdienste gefeiert haben, ganz normale, aber auch die zu besonderen Festen wie Taufe, Konfirmation, Hochzeit und auch Beerdigungen. „Kirche am Berg“ wurde ich genannt – und das bin ich für viele immer noch – bis heute, obwohl ich ja schon seit 20 Jahren „Evangelische Markuskirche“ heiße.
Aber zurück zu meinen Jahren als Jugendliche, sozusagen meine Sturm- und Drangzeit. Ich war schon ein schmuckes Kirchlein damals, wenn ich an die alten Fotos von mir denke. Und erst als ich fünf Jahre alt war, wurde die Kirchengemeinde Herzogenrath geboren. Immer mehr Evangelische zogen rings um mich herum und kamen gerne zu mir. Und dann kam der Boom als ich ungefähr im Konfirmandinnenalter war. Von etwa 300 Evangelischen war die Rede, aber schon 1914 wurden 1500 gezählt. Die hatten gar keinen Platz mehr in mir. Schließlich war ich ja klein. Und dann bekam ich im Mai 1931 meine kleine große Schwester in Streiffeld dazu. Jetzt waren wir schon zu zweit in Herzogenrath. Aber ich bin und bleibe die ältere. In Kohlscheid wurde schließlich 1933 meine kleine Schwester geboren. Allerdings war sie nicht so gut in Schuss und wurde in den 1960er Jahren durch das Lukas-Gemeindezentrum ersetzt.
Aber zurück zu mir. Im Dritten Reich wurde es schwer für mich. Aber Pfarrer Steinfartz hat auf mich und unsere Gemeinde aufgepasst. Er kam im Herbst 1934 und blieb 26 Jahre lang. Er hat sich durch die Deutschen Christen nicht unterkriegen lassen. Ja, ich weiß, er war Parteimitglied, aber seine Zugehörigkeit zur NSDAP hat sich in der Zahlung der Mitgliedschaftsbeiträge erschöpft. Darum durfte er auch nach dem Krieg bei mir bleiben.
Finanziell war es in den dreißiger Jahren auch nicht so dolle, denn meine beiden kleinen Schwestern kosteten ganz schön viel Geld, bis sie endlich geboren waren. Und es kamen immer mehr Menschen zu mir. Das war richtig schön in den Gottesdiensten und den Kindergottesdiensten jeden Sonntag. Ja, das Leben tobte so richtig. Aber dann kam ja der Zweite Weltkrieg. Aber auch da hatte ich Glück. Gottesdienst und kirchlicher Unterricht konnten trotz Fliegeralarm stattfinden, denn gleich neben mir war ein Bunker, in den alle laufen konnten, wenn Fliegeralarm war.
Aber dann im Herbst 1944 habe ich große Verletzungen erlitten. Der Dachreiter musste sogar ganz entfernt werden, Fenster und Kirchenbänke waren starkbeschädigt und das Gemeindehaus im Hof war komplett zerstört. Aber unterkriegen lassen habe ich mich nicht. Und viele haben geholfen, dass ich wieder eine schmucke Kirche wurde, wenn ich nun auch vor allem von außen, aber auch von innen anders aussehe. Aber Leute, Ihr habt euch ja auch verändert im Laufe der Jahre. Und das ist gut so.
Ich jedenfalls bin froh, dass ich noch so fit bin, und dass mir dabei so viele geholfen haben, damit ich weiterhin ein Wahrzeichen hier am Berg bin.
Ihr wisst das ja, nach der Jugend, der Familiengründung und Konsolidierung im Berufsleben folgt die Midlife-Crisis. Eigentlich hört sie nie mehr auf, ständig müssen sich Mann und Frau neu erfinden, erste Verluste verschmerzen, einander aushalten und sehen wie ein Ideal nach dem anderen in den Niederungen des Alltags dahinschmilzt. Ähnlich ist das auch bei mir gewesen. Ihr müsst euch das mal vorstellen. Nach den umfangreichen Umbauarbeiten 1964/1965 mit der Erweiterung des Kircheninnenraums, der neuen Orgelempore und der Errichtung des Glockenturms, überlegte doch das Presbyterium Anfang der 1970er ernsthaft, mich abzureißen und an anderer Stelle eine neue Kirche mit Gemeindezentrum zu bauen. Ich war am Boden zerstört. Ich schwitzte Blut und Wasser und verstand die Presbyter nicht – damals wirklich alles nur ältere Männer(!) bis auf wenige Ausnahmen – aber: Der Mensch denkt, Gott lenkt. Es wurde anders entschieden. Ich wurde nicht abgerissen – und neben mir entstand ein evangelisches Gemeindehaus – mmh… heute an K.I.D.S. , einem privaten Kitaträger vermietet – immer diese Veränderungen! Hört das denn nie auf?
Das Positive: Der Geist des Neuaufbruchs der 1968er wehte auch in der Kirche. Nach der Krise – was aus mir werden würde – kam es zur Neugestaltung des Innenraums mit Schwerpunkt neue Altargestaltung, neue Kirchenbänke und Kunst. Das war eine kontroverse Diskussion, kann ich euch sagen – und auch ich musste mich erst einmal mit der neuen Gestaltung anfreunden. Ich war ja eine überaus schlichte Kirche und – wie es sich reformiert gehört – aufs Wort ausgerichtet. Und auf einmal ein schwerer großer Granitaltar statt Abendmahlstisch, Fenster mit Passionsmotiven – bin ich katholisch oder was?! – und ein wuchtiges Hängekreuz – das geht doch gar nicht. Doch es wehte wie gesagt ein neuer Wind, gesellschaftlich und kirchlich. Und ich habe mich dran gewöhnt und im Laufe der Jahre habe ich mein neues Innenleben lieben gelernt: das Schöpfungsrelief und die Passionsglasfenster von Peter Paul Hodiamont, das Kreuz des Kölner Künstlers Kurt Wolf von Bories – das mich mit dem bronzenen Mose und der Bockreiterstatue in Herzogenrath-Mitte verband. Stammten diese beiden Exponate – der Mose ist ja leider geklaut worden – doch auch aus der Werkstatt von Bories.
Aber Kunst rettet auch nicht, gab es doch – es fällt mir gerade wieder ein – 2013 oder 2014 einen Beschluss des Presbyteriums, alle evangelischen Gebäude in Mitte und Kohlscheid aufzugeben, zu veräußern und an einem neuen Ort in ökumenischer Zusammenarbeit ein neues Kirchenzentrum aufzubauen. Aber: Der Mensch denkt, Gott lenkt. Jetzt wird schon wieder überlegt, ob ich eine Zukunft habe und wie die aussehen könnte. Was soll ich machen? Wie gesagt, ich bin gelassener geworden und für mein Alter noch gut in Schuss…, zugegeben, wenn geheizt wird, bin ich nicht klimaneutral – Mensch, Mensch, Mensch, was man/frau/kirche heute nicht alles sein muss!
Wisst ihr, was ich mache? Ich mache das, was ich gelernt habe. Ich vertraue mich und meine Zukunft ganz der Fürsorge Gottes an. Gern öffne ich meine Pforten für Menschen, die in mir beten, singen, hören und tanzen wollen, und lass meine Glocken weiterhin kräftig läuten. Gern noch für mindestens weitere 125 Jahre – so Gott will.
Amen